Finnland in der NATO: Ende seiner historischen Neutralität gegenüber Russland
Es ist offiziell: Finnland ist das 31. Mitglied der NATO, trotz des Drucks von Russland.
"Es ist ein guter Tag für die Sicherheit Finnlands, für die skandinavische Sicherheit und für die NATO als Ganzes", erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seiner Begrüßungsrede.
Laut The Guardian erklärte der finnische Präsident Sauli Niinistö, dies sei ein historischer Moment für sein Land: "Für Finnland wird das wichtigste Ziel des Treffens sein, die Unterstützung der NATO für die Ukraine zu betonen, während Russland seine illegale Aggression fortsetzt".
Unterdessen meldete Reuters, dass Russland angekündigt hat, seine nordwestliche Grenze zu verstärken, um auf die kürzlich erfolgte Aufnahme Finnlands in die NATO zu reagieren.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 gibt es Spannungen zwischen Finnland und Russland.
Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin erklärte Wochen nach Kriegsbeginn, dass sich die Neutralität ihres Landes gegenüber der NATO "bald ändern" werde. Das kam beim Kreml nicht gut an.
"Der Beitritt Finnlands zur NATO wird schwerwiegende militärische und politische Auswirkungen haben", erklärte Maria Zakharova, Sprecherin des Außenministeriums der Russischen Föderation, als Reaktion auf die Äußerungen Marins.
Zakharova betonte, wie wichtig es sei, die Neutralität gegenüber militärischer Bündnisse beizubehalten. "Es ist ein wichtiger Faktor, der zur Stabilität und Sicherheit Nordeuropas und Europas insgesamt beiträgt“, argumentierte sie und wies darauf hin, dass Finnland seit Jahrhunderten ein von Russland umkämpftes Gebiet ist.
Was ist die Geschichte hinter dieser Entscheidung? Warum äußert sich Russland so lautstark zum Verhalten dieses skandinavischen Landes?
Von 1100 bis 1809 gehörte das Gebiet, das heute Finnland umfasst, zu Schweden. Nach den Napoleonischen Kriegen wechselte es als Großherzogtum Finnland zu Russland.
Im Bild: Die lutherische Kathedrale von Helsinki mit einer Statue von Zar Alexander II. von Russland davor.
Es blieb bis 1917 unter der Herrschaft der Zaren. Dann wurde es, wie auch mehrere andere Gebiete des Reiches, inmitten der Russischen Revolution unabhängig.
Finnland wurde also erst 1917 ein unabhängiges Land. Damit endete die gemeinsame Geschichte dieser beiden Ländern jedoch noch nicht.
Im Bild: Die finnische Unabhängigkeitserklärung auf dem Senatsplatz von Helsinki.
Nach der Trennung von Russland im Jahr 1917, befand sich Finnland in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen den Weißen (unterstützt von der Regierung und den Deutschen) und den Roten (Sympathisanten der Bolschewiki und von der Sowjetunion unterstützt). Die Feindseligkeiten endeten im Mai 1918 mit einem Sieg der Weißen.
Die Beziehung zwischen den beiden Nationen endete jedoch auch nicht 1918. Russland griff das Land 1939 im sogenannten Winterkrieg an. Finnland konnte die Invasion abwehren, musste aber einen Teil seines Territoriums an die Sowjetunion abtreten.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Finnland griff 1941, gemeinsam mit Nazideutschland, die Sowjetunion an und eroberte die im Winterkrieg verlorenen Gebiete zurück.
Im Bild: Adolf Hitler und Carl Gustaf Emil Mannerheim, Führer der finnischen Streitkräfte während des 2. Weltkriegs.
Die URSS, unter der Führung von Joseph Stalin, schlug erfolgreich zurück und zwang Finnland einen Vertrag zu unterzeichnen.
Der Preis, den Finnland zahlen musste, um nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem sowjetisch beeinflussten Ostblock herauszukommen, bestand darin, einen Teil seines Territoriums an Russland abzutreten und zu versprechen, ein neutrales, unabhängiges Land zu bleiben.
Finnland und die URSS unterzeichneten 1948 das Abkommen über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung. Dieses garantiert, dass Finnland eine liberale Demokratie bleiben wird, solange es seine Neutralität gegenüber der Sowjetunion bewahrt. Die Hauptklausel des Vertrags sah vor, dass man sich nicht gegen den anderen militärisch verbünden durfte.
Um sein Überleben zu sichern, hielt sich Finnland während des Kalten Krieges sowohl von der Sowjetunion als auch von den Westmächten fern. Seine Beziehungen zu Westeuropa waren sehr zurückhaltend.
Finnland bemühte sich um ausgewogene Beziehungen zu beiden Seiten während des Kalten Krieges und schloss parallel Wirtschaftsabkommen mit dem Ostblock und den Westmächten ab. Dadurch konnte Finnland seine eigene neutrale Haltung in Wirtschaftsfragen sicherstellen.
In den 1960er Jahren wird die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) von mehreren Ländern gegründet, die es vorziehen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht beizutreten. Für Finnland kam, aufgrund des sowjetischen Widerstands, weder ein Beitritt zur EFTA noch zur EWG in Frage.
Finnland öffnete sich jedoch 1986 dem Westen und trat der EFTA bei, wobei es eine neutrale Haltung einnahm.
Im Bild: Der finnische Präsident Mauno Koivisto 1986 mit seiner Frau.
Die sechs Mitglieder der EFTA, darunter Finnland, unterzeichneten 1992 ein Abkommen mit der damaligen EWG (jetzt Europäische Union) zur Gründung des Europäischen Wirtschaftsraums.
Damit werden die "vier Freiheiten“ des europäischen Binnenmarktes garantiert: Die Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Finnland behielt jedoch seine politische Neutralität.
1989 fiel die Berliner Mauer, und kurz darauf folgte der Zusammenbruch der Sowjetunion. Finnland überarbeitet den finno-sowjetischen Vertrag von 1948 und ersetzt ihn 1992 durch ein neues Abkommen.
Nach dem Vorbild des benachbarten Schweden und anderer neutraler EFTA-Staaten beantragte Finnland 1992 die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Zu diesem Zeitpunkt definiert Finnland seine "Neutralität“ neu in "militärische Blockfreiheit“. Als blockfreies Land kann Finnland militärisch mit anderen Nationen zusammenarbeiten, schließt sich aber in Fragen der gegenseitigen Verteidigung aus.
Die EWG war besorgt, dass neutrale Länder das Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) schwächen könnten, und prüfte lange Zeit Finnlands Beitrittsgesuch.
Finnland erklärte gegenüber der EWG (später EU) seine Bereitschaft zur Umsetzung der GASP und versicherte im eigenen Land, dass es möglich sei, diese Politik umzusetzen und gleichzeitig seine militärische Blockfreiheit beizubehalten.
Das Land wird 1995 Mitglied der Europäischen Union. Zusammen mit Schweden schlägt es vor, die Petersburger Aufgaben der militärischen Abrüstung und Friedenssicherung in den Vertrag von Amsterdam aufzunehmen, die Grundlage der gemeinsamen Sicherheitspolitik der EU.
Diese Initiative war auch ein Weg, um den möglichen Zusammenschluss zwischen der Westeuropäischen Union und der Europäischen Union zu verhindern. Den hatten viele EU-Mitglieder vorgeschlagen während blockfreie Mitglieder versucht haben ihn zu vermeiden.
Während der ersten Amtszeit Finnlands als Vorsitzender des Rates der Europäischen Union wurde die Gründung einer gemeinsamen EU-Armee, bekannt als Helsinki Headline Goal, diskutiert.
Finnland steuerte 2.000 Mann bei, allerdings mit einigen Einschränkungen: Sie durften nur zur Krisenbewältigung eingesetzt werden und vorzugsweise für zivile und nicht militärische Zwecke.
Im Bild: Finnische Soldaten als Teil einer friedenserhaltenden UN-Mission im Libanon im Jahr 2001.
Für Finnland ist die Beziehung zwischen Russland und der Europäischen Union von grundlegender Bedeutung. Aus diesem Grund spielte es eine aktive Rolle bei der Ausarbeitung der gemeinsamen EU-Strategie hinsichtlich Russlands. Es unterstützte die Rolle der NATO in Nordeuropa, stimmte aber einer Ausweitung des Bündnisses auf die baltischen Staaten nicht zu.
Finnland hat zusammen mit Österreich, Irland und Schweden Änderungen an der EU-Sicherheitspolitik vorgeschlagen, die von der Ratspräsidentschaft abgelehnt werden. Es wird eine Verpflichtung eingegangen, unterschiedliche politische Positionen in Bezug auf Sicherheit zu berücksichtigen, wodurch Finnland innerhalb der EU neutral bleiben kann.
Die Blockfreiheit Finnlands war so flexibel, dass sie für die europäische Politik kein Problem darstellte.
Im Bild: Die finnische Präsidentin Tarja Halonen mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan.
Experten gingen davon aus, dass sich die Situation im Jahr 2003 ändern würde. Die Veröffentlichung von 'EU Defence: The White Book' im Jahr 2004 behält Finnlands neutralen Status bei, aber es hebt die Notwendigkeit einer gemeinsamen EU-Politik hervor und weist auf die Möglichkeit eines NATO-Beitritts hin.
Im Bild: NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mit der finnischen Präsidentin Tarja Halonen.
Nachdem Finnland nun beschlossen hat, der NATO beizutreten, bleibt angesichts der aktuellen geopolitischen Lage abzuwarten, welche Folgen dies für Finnland, Russland, den Krieg in der Ukraine und die gesamte europäische Ordnung haben wird.
Im Bild: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö.