Gibt es Konflikte zwischen Paris und Berlin?
Überraschenderweise wurde der gemeinsame deutsch-französische Ministerrat, der am Mittwoch, den 26. Oktober in Fontainebleau in Frankreich stattfinden sollte, ohne Angabe eines späteren Termins vertagt. Die offizielle Erklärung lautete: Terminschwierigkeiten bei einer Reihe von Ministern.
Dieses Treffen wurde in diesem Jahr zum dritten Mal verschoben, nachdem es seit 2003 jedes Jahr stattgefunden hatte. Der gemeinsame Ministerrat ist eine Innovation, die auf die Zeit von Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder zurückgeht, zwei Politiker, die sich nahe standen und viel für die Annäherung ihrer beiden Länder getan hatten.
Die Entscheidung kam jedoch zu einem Zeitpunkt, als Deutschland gerade die Einführung eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems mit 14 europäischen NATO-Mitgliedern ankündigte, hauptsächlich mit Ländern aus Nordeuropa, die Deutschland nahe stehen, oder aus Osteuropa, die am Rande des Krieges in der Ukraine stehen, sowie mit Großbritannien.
Für Paris ist diese Entscheidung ist eine Ohrfeige. Frankreich und Italien sind nicht an dieser Kooperation beteiligt, obwohl sie gemeinsam ein Raketenabwehrsystem entwickeln. Und die Technologie, die für das deutsche Programm verwendet wird, ist nicht französisch, sondern amerikanisch, deutsch und israelisch.
Die deutsche Kehrtwende bringt somit das von Emmanuel Macron unterstützte Projekt eines Europas der Verteidigung in Schwierigkeiten, das durch den russisch-ukrainischen Konflikt neue Aktualität erlangt hat. Der französische Staatschef bedauerte, dass Deutschland sich bei diesem entscheidenden Thema "isoliert".
Diese Episode offenbart jedoch vor allem tiefere Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern. Die deutsch-französische Zusammenarbeit war schon immer von Spannungen geprägt, doch diesmal traten die Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin offen zutage und blockierten den Fortschritt gemeinsamer Projekte.
Zunächst einmal herrscht auf beiden Seiten des Rheins eine große Uneinigkeit in Verteidigungsfragen. Während Frankreich unter der Führung von Emmanuel Macron eine europäische strategische Autonomie entwickeln möchte, bevorzugt Deutschland weiterhin das Bündnis mit den Vereinigten Staaten.
Diese strategische Divergenz hindert die beiden Staaten jedoch nicht daran, gemeinsame Rüstungsprogramme zu entwickeln, manchmal unter Einbeziehung anderer europäischer Partner. Es gab jedoch auch Spannungen im operativen Bereich, insbesondere beim Flugzeug der Zukunft SCAF, wo die Arbeitsteilung zwischen der französischen und der deutschen Industrie schwierig ist.
Der Krieg in der Ukraine hat den deutsch-französischen Konflikt in Verteidigungsfragen aufgedeckt und verschärft. Frankreich begrüßte es, dass Deutschland seinen Teil zur gemeinsamen Verteidigung beiträgt, als Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben um 100 Milliarden Euro ankündigte. Diese Summe wurde jedoch hauptsächlich für den Kauf von amerikanischem Material verwendet.
Auch im Bereich der Energie sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern tiefgreifend. Während Frankreich traditionell auf Atomkraft setzt, ist Deutschland fast vollständig aus der Atomkraft ausgestiegen. Berlin setzte vor dem Krieg auf russisches Gas und baut weiterhin Wind- und Solarenergie aus. Die beiden Länder gerieten in Brüssel aneinander, als die Europäische Kommission eine Klassifizierung der verschiedenen Energiequellen nach ihren Auswirkungen auf die Umwelt einführte.
Da Berlin sich nicht mehr auf Gaslieferungen aus Russland verlassen konnte, wollte es eine Gaspipeline zwischen Spanien und Deutschland bauen, was ein weiterer Streitpunkt mit Paris ist. Und die Deutschen wollten im Gegensatz zu den Franzosen keine Obergrenze für den Gaspreis einführen.
Dennoch sind einige Experten der Meinung, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit im Allgemeinen aus einer solchen Krise gestärkt hervorgeht. Seit dem Beginn des europäischen Projekts in der Nachkriegszeit und dem Élysée-Vertrag zwischen den beiden Ländern wird das deutsch-französische Paar als Motor der Europäischen Union angesehen.
Seit der Zeit von De Gaulle und Adenauer wurde das deutsch-französische Tandem im Laufe der Jahrzehnte durch zahlreiche Duos verkörpert, von dem berühmten Bild von François Mitterrand und Helmut Kohl in Verdun bis zum Management der Eurokrise durch Nicolas Sarkozy und Angela Merkel.
Die Partnerschaft zwischen den beiden Nationen wurde durch den Abschluss des Aachener Kooperationsvertrags weiter gestärkt, der im Januar 2019 von Emmanuel Macron und Angela Merkel kurz nach dem 100. Jahrestag des Waffenstillstands von 1918 unterzeichnet wurde.
Trotz der immer wiederkehrenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Ländern ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich sowohl für die beiden Nationen als auch für Europa notwendig. Verteidigung, Energie, Inflationsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung, es gibt viele gemeinsame Themen!
Als Beweis dafür, dass Frankreich und Deutschland trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten weiterhin gemeinsam voranschreiten wollen, kündigte Emmanuel Macron an, dass er Olaf Scholz am kommenden Mittwoch, dem Tag, an dem der Ministerrat stattfinden sollte, empfangen werde. Werden die beiden Politiker das Kriegsbeil begraben können?
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