Giftstoffe freigesetzt? Greenpeace untersucht die Folgen der Nord-Stream-Lecks
Die Expedition der Umweltorganisation will die Auswirkungen, die die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines für die Umwelt haben könnten, überprüfen. Rund um eine der Explosionsstellen der Nord Stream 1 wurden 40 Boden- und Wasserproben genommen. Diese werden im Toxikologischen Institut der Universität Kiel auf Rückstände von chemischen Kampfstoffen und auf Sprengstoffreste untersucht, so Greenpeace gegenüber dem SWR.
Greenpeace hat auch Aufnahmen gemacht. Ein Bericht in der Tagesschau erklärt, dass diese Bilder vor der Insel Bornholm von einem Tauchroboter in 79 Meter Tiefe aufgenommen wurden. Sie zeigen, laut dem Bericht der Tagesschau, eine vollständig kaputte Röhre, verbogenen Stahl, Teile der Pipeline, die bis zu sieben Metern aus dem Boden ragen, und eine weggesprengte Betonummantelung.
Greenpeace will untersuchen, ob durch die Explosionen hochgiftige Altlasten vom Meeresboden aufgewirbelt worden sein könnten. Laut Hans Sanderson, Umweltwissenschaftler an der Universität Aarhus in Dänemark, sind an diesem Ort rund 11.000 Tonnen chemischer Sprengstoffe entsorgt worden.
Bild: Leck in der Ostsee "SWEDISH COAST GUARD / HANDOUT"
Schweden bestätigte Mitte November den Verdacht der Sabotage. Laut dem verantwortlichen Staatsanwalt Mats Ljungqvist zeigen Analysen Sprengstoffspuren an mehreren entdeckten Fremdkörpern.
Der Kreml erklärte, dass er sich bestätigt fühlt. Laut der Nachrichtenagentur Interfax sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow (im Bild rechts hinter Wladimir Putin in 2018): "Dass nun Angaben über einen Sabotage- oder Terrorakt eintrudeln, bestätigt nur ein weiteres Mal die Informationen, die die russische Seite hatte und hat". Er fügte hinzu, nun sei es aber wichtig herauszufinden, wer hinter der Sprengung stehe.
Einige Tage vorher gab es bereits neue Hinweise von dem US-Technikmagazin Wired und dem Unternehmen für Satellitendatenüberwachung SpaceKnow. Laut ihrem Bericht sollen zwei "dunkle Schiffe", die etwa 95 bis 130 Meter lang waren, in den Tagen unmittelbar vor dem Auftauchen der Lecks in der Gaspipeline in dem Gebiet gewesen sein. Sie werden als dunkel bezeichnet, weil sie praktisch nicht sichtbar sind.
"Wir haben einige dunkle Schiffe von beträchtlicher Größe entdeckt, die durch dieses Gebiet fuhren", sagt Jerry Javornicky, der CEO und Mitbegründer von SpaceKnow, gegen über Wired. "Sie hatten ihre Tracker ausgeschaltet, was bedeutet, dass es keine Informationen über ihre Bewegungen gab, und sie versuchten, ihre Standortinformationen und allgemeinen Informationen vor der Welt zu verbergen", fügt Javornicky hinzu.
Die Frage nach den Verantwortlichen steht im Raum seit die Lecks Ende September 2022 in Nord Stream 1 und 2 entdeckt wurden. Hier ein Rückblick über Tatsachen und Spekulationen.
Am 26. September hatten dänische Behörden drei Lecks in den Gasleitungen in der Ostsee gemeldet. Schwedens Küstenwache hatte nach eigenen Angaben am 28. September ein weiteres Gasleck entdeckt. Laut Medienberichten soll sich das vierte Leck auf einer Länge von 200 Metern ausdehnen.
Im Bild: Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei einer Pressekonferenz zu dem Thema am 27. September.
Vor dem Entstehen der Gaslecks in der Ostsee haben Messstationen in Schweden und Dänemark Detonationen unter Wasser verzeichnet. Der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) sagte dem schwedischen Rundfunksender SVT, es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen oder Explosionen handele.
Nach Berichten des NDR gehen Sicherheitsexperten davon aus, dass mehrere hundert Kilogramm Sprengstoff verwendet wurden. An den Ermittlungen, wie diese zum Einsatz kamen und transportiert wurden, beteiligte sich auch die deutsche Marine.
Die Nato und die EU gingen davon aus, dass die Lecks auf Sabotage zurückzuführen sind. In einem Statement der 30 Mitgliedsstaaten der NATO hieß es, alle derzeit verfügbaren Informationen deuteten auf "vorsätzliche, rücksichtslose und unverantwortliche Sabotageakte" hin.
Bild: Jens Stoltenberg, NATO (links) und Ursula von der Leyen, EU am 26. September 2022 in Brüssel
Ein möglicher Verantwortlicher wurde in dem Statement aber nicht genannt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (im Bild) betonte, jedem vorsätzlichen Angriff auf die kritische Infrastruktur von Verbündeten werde mit einer geschlossenen und entschlossenen Antwort begegnet.
Russlands Präsident Wladimir Putin (im Bild) hat die Nord-Stream-Lecks als "internationalen Terrorismus" bezeichnet. Zuvor hatte der Kreml Spekulationen über eine russische Beteiligung an der Beschädigung der Pipelines als "dumm und absurd" zurückgewiesen.
Innerhalb der Spekulationen wurden auch die USA genannt, mit der Argumentation, dass die US-Regierung immer gegen Nord Stream 2 (im Bild) war.
Der Sicherheitsexperte Johannes Peters von der Universität Kiel sagte dazu im ARD Morgenmagazin: "Ich bin mir sicher, dass die USA nicht so weit gehen würden, Energieinfrastruktur ihres wichtigsten Verbündeten, nämlich Europas, zu zerstören. Das würde im Endeffekt dazu führen, dass die USA das schaffen, was andere seit Jahren versuchen - nämlich den Westen, Europa und die USA, auseinanderzutreiben."
Im Bild: US-Präsident Joe Biden
Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (im Bild) warnte derweil gegenüber dem Fernsehsender Phoenix vor einem fossilen Energiekrieg. Nach diesem Sabotageakt befürchtet die Expertin künftig weitere Versuche der Destabilisierung von Energieversorgungssystemen - möglicherweise auch durch Angriffe auf Atomkraftwerke.
Wer auch immer für die Schäden verantwortlich ist, die Konsequenzen für die Umwelt sind auf alle Fälle verheerend.
Bild: " DANISH DEFENCE / HANDOUT"
Die Lecks in den Pipelines Nord Stream 1 und 2 führen nach Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) zu Emissionen von etwa 7,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Das entspricht etwa einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamtemissionen. Die Berechnung stützt sich auf geschätzte Informationen zu Füllzustand und Volumen der beiden Pipelines.
Laut dem Umweltbundesamt gibt es an den Gasleitungen keine Abschottungsmechanismen, was dazu führt, dass der gesamte Inhalt der Röhren entweicht.
Im Bild: Lager von Pipelinerohren.
Insgesamt sind wohl 0,3 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre gelangt. Methan ist deutlich klimaschädlicher als CO₂. Auf einen hundertjährigen Zeitraum gesehen erwärmt eine Tonne Methan die Atmosphäre genauso wie 25 Tonnen CO₂. Daher muss der Klimaeffekt der Lecks mit etwa 7,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten beziffert werden. Diese Konsequenzen hatte das Bundesumweltamt auf seiner Webseite veröffentlicht.
Laut des SWR erklärte der Kriminaltechniker und Sprengstoffexperte Wolfgang Spyra in Bezug auf die Untersuchungen von Greenpeace: "Es ist ein guter Ansatz, dass nun weitere, neue Informationen neben denen der Behörden existieren.
Bild: "SWEDISH COAST GUARD / HANDOUT"