Künstliche Intelligenz lässt Verstorbene als digitale Avatare wieder auferstehen
Den geliebten Verstorbenen nochmal sehen und hören können, ihm oder ihr nach dem Tod Fragen stellen zu können, die beantwortet werden. Mit künstlicher Intelligenz ist das möglich. Aber welche Risiken bergen diese Technologien, die den Eindruck erwecken, dass wir unsere Vergänglichkeit überwinden können?
US-amerikanische Firmen wie 'StoryFile', 'HereAfter.AI' oder 'You, Only Virtual lassen Mithilfe von künstlicher Intelligenz Verstorbene wiederauferstehen.
Das funktioniert digital, mit virtuellen Kopien der Verstorbenen. Technologien wie diese werden als 'Grief-Tech' bezeichnet, zu Deutsch 'Trauer-Technologie'. Das Ziel: Hinterbliebene sollen mit digitalen Abbildern ihrer toten Angehörigen chatten, telefonieren oder gar Videokonferenzen führen können.
Dahinter verbirgt sich eine Geschäftsidee von Technologieunternehmen, die mit der Sehnsucht des Menschen nach Unsterblichkeit spielt. Tote nehmen Gestalt an, sprechen scheinbar aus dem Jenseits mit uns, sind aber nur Maschinen.
Aus dem Datenmaterial eines Verstorbenen stellen diese Unternehmen mithilfe von Künstlicher Intelligenz Chatbots oder virtuelle Avatare her, mit denen die Hinterbliebenen dann interagieren können.
Sich verabschieden, dass wollte eine Mutter in Südkorea. Dafür hat sie sich einen Avatar ihrer verstorbenen siebenjährigen Tochter erstellen lassen. Dies habe der Mutter im Trauerprozess geholfen, wie Anja Braun im SWR berichtet.
Eines dieser 'Grief-Tech'-Unternehmen, 'HereAfter.AI', wurde 2016 von dem Schriftsteller James Vlahos gegründet. Der Auslöser war ein ganz persönlicher Grund: der Lungenkrebs seines Vaters.
James Vlahos wollte die Erinnerung an seinen Vater am Leben halten. Deshalb begann er, Interviews mit ihm zu führen – über seine Kindheitserinnerungen, seine Lieblingslieder, seine bevorzugten Witze. Mit den Tonspuren der Antworten kreierte er den 'Dadbot', einen interaktiven Avatar seines Vaters.
Im Bild: Screenshot YouTube James Vlahos, Hereafter
"Der Dadbot war ein Projekt, das mir persönlich sehr viel bedeutet hat“, erinnert sich Vlahos im Interview mit futurezone. "Aber als andere Leute davon hörten, bekam ich viele Anfragen, ob ich etwas Ähnliches auch für ihre Angehörigen anfertigen könnte."
Der Unterschied zu simplen Audioaufnahmen der Stimme, Fotoalben oder Videos, die ebenfalls an Verstorbene erinnern, liegt in der Interaktivität der Technologie. "Es geht nicht darum, Erinnerungen aufzubewahren, sondern darum, sie in ein Gespräch zu verwandeln", erklärt James Vlahos gegenüber futurezone.
Der KI-Bot simuliert also Konversationen, dank dem Material, das von dem Verstorbenen zuvor über eine App gesammelt wurde, aber er generiert keine neuen Inhalte oder Antworten. Andere Start-ups aus den USA, wie zum Beispiel StoryFile, arbeiten aber bereits am nächsten Schritt: 'generative KI', die sehr wohl neue Antworten produzieren kann.
Die KI von StoryFile wurde ursprünglich geschaffen, damit Holocaust-Überlebende ihre grauenhaften Erlebnisse an kommende Generationen weitergeben können. Mittlerweile hat StoryFile aber auch ein Archiv an prominenten noch lebenden Persönlichkeiten. Auf der Webseite kann man sich zum Beispiel mit einem Avatar des 'Star Trek'-Schauspielers William Shatner (im Bild) unterhalten.
Skeptische Stimmen befürchten, dass Hinterbliebene durch die Avatare in einer Art Schleife hängenbleiben könnten und sich nicht bewusst machen, dass die oder der Verstorbene nicht zurückkehrt.
Befürworter argumentieren, dass die künstliche Intelligenz es möglich macht nicht mehr am Grab die Nähe des Verstorbenen zu suchen, sondern eben überall.
Diese Ansicht vertritt auch Jessica Heesen. Sie forscht an der Universität Tübingen zum Thema Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens. "So wie wir auch ans Grab gehen und mit den Verstorbenen sprechen, mit dem Grabstein sprechen, sprechen wir vielleicht in Zukunft mit einem Avatar“, so Heesen gegenüber dem SWR.
Heesen warnt aber vor einem möglichen Datenmissbrauch. Da es genug Daten online gibt, könnten Avatare von Verstorbenen ohne deren Zustimmung erstellt werden und dann beispielsweise für Erwachseneninhalte genutzt werden oder zur Verbreitung von Unwahrheiten.
Deshalb plädiert Heesen für eine Regelung auf EU-Ebene. Von den 'Digital-Afterlife'-Anwendungen würden in erster Linie die großen Datenkonzerne profitieren. "Das ist ein Mittel, die Daten von Verstorbenen letztendlich auch zu kommerzialisieren“, erklärte Heesen gegenüber dem SWR.
Mit dem Ruf nach Regulierung ist sie in prominenter Begleitung: Am 16. Mai 2023 hat sich Sam Altman (im Bild), der Geschäftsführer des ChatGPT-Erfinders Open AI, persönlich für eine strikte Regulierung von künstlicher Intelligenz ausgesprochen. Staatliche Eingriffe seien entscheidend, um "die Risiken von immer leistungsfähigeren" KI-Systemen zu mindern, sagte er bei einer Anhörung im US-Senat. Wenn das nicht zu denken gibt...