Lebenserwartung in Europa: Warum schneidet Deutschland so schlecht ab?
Deutschland hinkt bei der Lebenserwartung im westeuropäischen Vergleich deutlich hinterher. Sowohl bei Männern wie auch bei Frauen. Das belegt eine neue Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB).
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) veröffentlichte am 10. Mai 2023 im 'European Journal of Epidemiology' den Vergleich der Lebenserwartung von 16 europäischen Ländern. Die Studie wurde zusammen mit dem Max-Plank-Institut für demografische Forschung in Rostock erstellt.
Das Resultat gibt Anlass zur Sorge. 16 westeuropäische Länder wurden unter die Lupe genommen, und die Männer in der Bundesrepublik liegen nur auf Platz 15. Die Frauen auf Platz 14. Die Frage ist warum?
Neben Deutschland wurde auch die Lebenserwartung (mit Zahlen aus 2019) von Spanien, Frankreich, der Schweiz, Italien, Luxemburg, Schweden, Portugal, Finnland, Irland, Österreich, Belgien, Griechenland, Niederlande, Dänemark und Großbritannien untersucht.
In Deutschland ist laut des BIB-Forschers Pavel Grigoriev vor allem die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich höher als in anderen Ländern mit höherer Lebenserwartung.
"Dass Deutschland bei diesen Erkrankungen deutlich zurückliegt, ist Anlass zur Sorge, da diese heutzutage als weitgehend vermeidbar gelten.“ So der Mortalitätsforscher des BiB.
Grigoriev vermutet, dass es Defizite bei der Vorbeugung gibt. Denn zu späte Diagnosen erschweren eine erfolgreiche Behandlung.
Für Pavel Grigoriev vom BiB ist das schlechte Abschneiden Deutschlands auch eine Kritik am Gesundheitssystem: "Ein gut zugängliches und leistungsfähiges Gesundheitssystem steht in Kontrast zu einer westeuropäischen Schlusslichtposition bei der Lebenserwartung. Die Ergebnisse sind ein Warnsignal für die Nachhaltigkeit des Gesundheitssystems.“
Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Grund für 33 % alle Todesfälle in Deutschland. Dahinter folgen Krebserkrankungen mit 22,5 %. An Covid-19 starben 2021 im Vergleich 7 % der deutschen Bevölkerung.
Übergewicht ist ein bekannter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Laut statista lag die durchschnittliche Übergewichts- bzw. Fettleibigkeitsrate in Deutschland im Jahr 2019 bei rund 60 %, und damit nahezu doppelt so hoch wie zum Jahrtausendwechsel.
Dass die Deutschen dicker sind als der EU-Durchschnitt, betonte die Demografie-Expertin Sabine Sütterlin schon 2018 im Zusammenhang mit der Lebenserwartung.
Pavel Grigoriev sieht auch in der Ernährung einen möglichen Grund. Während die Mittelmeerküche deutlich mehr Fisch, Gemüse, Salate, Hülsenfrüchte und Obst enthält, dominieren in Deutschland kalorienreiche und fetthaltige Gerichte.
Die höchste Lebenserwartung im westeuropäischen Vergleich hatten die Frauen in Spanien mit 86,2 Jahre. Frauen in Deutschland sterben im Vergleich durchschnittlich mit 83,5 Jahren, also fast drei Jahre früher.
Die Männern in der Schweiz haben laut der Studie mit 81,9 Jahren die höchste Lebenserwartung. Die männliche Bevölkerung in Deutschland kommt gerade mal auf 78,8 Jahre.
Nur Portugal hat mit 78,7 Jahren eine noch schlechtere Lebenserwartung für Männer als Deutschland.
Auf dem letzten Platz der Lebenserwartung von Frauen liegt Großbritannien: Hier werden Frauen im Schnitt 83,3 Jahre alt und sterben damit im Durchschnitt 2 Monate früher als die Frauen in Deutschland.
Um 1900 lag unsere Lebenserwartung noch bei knapp unter 50 Jahren, aber auch wenn sie seitdem kontinuierlich steigt, sind die Ergebnisse der Studie ein klarer Beweis dafür - und nicht der erste-, dass das deutsche Gesundheitswesen Reformen braucht.