Ungewöhnlich viele Todesfälle in Deutschland: aber warum?
Nach Hochrechnungen des Statistischen Bundesamts (Destatis) sind in Deutschland im Oktober 2022 92.954 Menschen gestorben. Die Zahl liegt laut den Statistikern um 19 Prozent oder um 14.560 Fälle über dem Medianwert der Jahre 2018 bis 2021 für diesen Monat.
Der Oktober war ein Höhepunkt. Aber auch in den vorangegangenen Monaten lässt sich in der Statistik eine hohe Übersterblichkeit im Jahr 2022 erkennen.
Für die Über- oder Untersterblichkeitsstatistik werden die absoluten Zahlen der Sterbefälle eines Monats mit dem Median der vier Vorgängerjahre für den Monat verglichen. Liegt der Wert über dem Median, ist von einer Übersterblichkeit die Rede, liegt er darunter, von einer Untersterblichkeit. Der Median ist dabei der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach Größe geordnet ist.
Destatis erklärte in seinem Bericht: "In welchem Ausmaß COVID-19, die hohen Temperaturen im Sommer und weitere Gründe zu den deutlich erhöhten Sterbefallzahlen der letzten Monate beigetragen haben, lässt sich derzeit nicht einschätzen."
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind im Oktober insgesamt 4334 Menschen in Deutschland an oder mit Corona gestorben, deutlich mehr als in den Vorjahren (2021: 2493; 2020: 1482). Auch in den Sommermonaten starben 2022 deutlich mehr Menschen an oder mit Corona als in den Jahren davor.
Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock erklärte, dass sich im Herbst 2022 "nur noch in etwa die Hälfte [der Übersterblichkeit] mit registrierter Covid-Sterblichkeit erklären“ lasse. Beim Rest sei "noch offen, woran das liegt“. Laut Schöley ist es "aber plausibel, dass wir im Jahr 2022 die indirekten Effekte mehr zu sehen kriegen“.
"Was wir sehen, sind zeitlich synchron zwei Entwicklungen: Einerseits die Corona-Sterbefälle, die im frühen Herbst bis zum Oktober angestiegen sind. Andererseits die Atemwegsinfektionen, die ebenfalls stark angestiegen sind", so Jonas Schöley weiter.
Seit die Zahlen veröffentlicht wurden, rätseln die Wissenschaftler, und gleichzeitig kursieren Spekulationen über die Ursache der vermehrten Sterbefälle. Vor allem unter Gegnern der Corona-Impfung wird über einen möglichen Zusammenhang mit der Impfung spekuliert.
Ein Zusammenhang zwischen der Corona-Impfung und der Übersterblichkeit ist laut Schöley aber nahezu ausgeschlossen.
Der Bundesminister für Gesundheit hat auf Twitter gepostet: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die hohe Übersterblichkeit auch mit Spätfolgen der Coronainfektion zu tun hat. Für Ältere ist nach COVID zum Beispiel das Infarkt oder Schlaganfall Risiko deutlich erhöht."
Diese Ansicht teilt Carsten Tschöpe, Kardiologe und Leiter der Kardiomyopathie-Einheit an der Berliner Charité. Er sagte gegenüber der Zeitschrift Spiegel, "dass die Covid-Spätfolgen auch zu der 19-prozentigen Übersterblichkeit im Oktober beigetragen haben“.
Der Epidemiologe Klaus Stöhr erklärte: "Dass die mangelnde Vorsorge während der überzogenen Lockdowns während der Pandemie auch eine Rolle bei den erhöhten Todesfällen spielen, haben Studien bereits belegt."
Jonas Schöley und sein Team haben die Änderungen in der Lebenserwartung für 29 Länder untersucht und in der Publikation "Nature Human Behaviour" veröffentlicht. Danach hat sich nur in Frankreich, Belgien, der Schweiz und Schweden das Sterberisiko, dem eine Bevölkerung innerhalb eines Jahres ausgesetzt ist, wieder auf das Niveau vor der Pandemie eingependelt.
Endgültige Klarheit über die Ursachen der mysteriösen Übersterblichkeit wird es erst Mitte 2023 geben. Dann veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine abschließende Einordnung, auch unter Einbeziehung des Alterungsprozesses der Bevölkerung und der Todesursachenstatistik.