Warum haben die Viktorianer Mumien aus Ägypten gegessen?
Das Leben im Viktorianischen Zeitalter, das von 1837 bis 1901 dauerte, war sicherlich eine seltsame Zeit, vor allem wegen all der Pseudowissenschaft, die in Umlauf gebracht wurde. Und einige der Praktiken, die von Ärzten geschätzt wurden, sind kaum zu glauben.
Das Viktorianische Zeitalter war auch Zeuge einer Faszination für alte Zivilisationen und ihre Artefakte, einschließlich der seltsamen Praxis, ägyptische Mumien zu verzehren.
Ja, Sie haben richtig gelesen: In der viktorianischen Ära aßen die Menschen tatsächlich Teile von mumifizierten alten Ägyptern!
Wenn dies für Sie neu ist, fragen Sie sich wahrscheinlich, was um alles in der Welt die Menschen davon überzeugen konnte, dass es eine gute Idee ist, eine Mumie zu essen.
Wir wollen die Gründe für den Gedankengang der Viktorianer zu jener Zeit nachvollziehen.
Die Entdeckung alter ägyptischer Gräber und Artefakte im frühen 19. Jahrhundert löste ein enormes Interesse an der ägyptischen Kultur aus, das als Ägyptomanie bekannt wurde.
Wie das 'Smithsonian Magazine' hervorhebt, waren die Viktorianer von der Ausstrahlung und den Geheimnissen Ägyptens fasziniert, so dass sie eifrig Mumien und andere Reliquien sammelten.
Diese konservierten Körper und die dazugehörigen kulturellen Artefakte wurden zu Objekten der Faszination und Neugierde.
Die Besessenheit war so groß, dass wohlhabende viktorianische Bürger, die es sich leisten konnten, ihre eigene Mumie zu kaufen, sogar Mumien-"Auspackpartys" veranstalteten, wie Drew Cruikshank auf der Website des Museums von Dalnavert in Kanada erklärt.
Aber wie kamen die Viktorianer von der Schändung ägyptischer Überreste auf Partys zum tatsächlichen Verzehr von Mumienteilen?
Einem Artikel des 'Smithsonian Magazine' zufolge war einer der Hauptgründe für den Verzehr ägyptischer Mumien in der viktorianischen Ära der vorherrschende Glaube an ihre heilenden Eigenschaften.
Mumien wurden starke Heilkräfte zugeschrieben. Einige Ärzte glaubten damals, dass der Verzehr von pulverisiertem Mumienfleisch oder die Einnahme von mit Mumienflüssigkeit versetzten Substanzen eine Vielzahl von Krankheiten heilen und die Gesundheit allgemein verbessern könnte. Dieser Glaube beruhte auf einer seit langem bestehenden Assoziation von antiken Artefakten mit mystischen und stärkenden Eigenschaften.
Louise Noble, Dozentin für Englisch an der University of New England in Australien und Autorin des Buches "Medicinal Cannibalism in Early Modern English Literature and Culture" (Medizinischer Kannibalismus in der englischen Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit), erklärte gegenüber dem 'Smithsonian': "Es ist aus homöopathischen Ideen entstanden. Es heißt 'Gleiches heilt Gleiches'. Man isst also zermahlenen Schädel gegen Kopfschmerzen."
In einem Artikel über das Essen von Mumien in der viktorianischen Zeit weist 'National Geographic' jedoch darauf hin, dass der Historiker Karl Dannenfelt glaubt, dass dieser ganze beunruhigende "Trend" das Ergebnis schlechter Übersetzungen und Missverständnisse war.
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Laut 'National Geographic' geht alles auf das Wort "Mumia" oder auch 'Mumijo' zurück, das als kostbare heilende Substanz galt, die "an einem einzigen persischen Berghang gefunden wurde, wo sie aus schwarzem Felsasphalt sickerte", so das Nachrichtenmagazin. Heute ist es als eine Art harziges Bitumen, ein Mineralölprodukt, bekannt.
(Foto: Daniel Tzvi - Eigenes Werk, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1960710)
"Mumia" wurde in Persien für viele verschiedene medizinische Zwecke verwendet und wurde nach dem Wort benannt, das die Einheimischen für Wachs verwendeten, nämlich "mum". Die Substanz war in der arabischen Welt sehr beliebt und wurde sehr geschätzt.
(Foto: Arabischer Maler des Kräuterbuchs des Dioskurides - The Yorck Project (2002) 10.000 Meisterwerke der Malerei (DVD-ROM), distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH. ISBN: 3936122202., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=147655)
Nach den Forschungen des Historikers Karl Dannenfelt unterlief den Westeuropäern bei der Übersetzung von Texten aus der islamischen Welt jedoch ein schwerwiegender Fehler, der dazu führte, dass die Bedeutung des Wortes "Mumia" im Westen völlig falsch interpretiert wurde.
(Foto: Von Bullenwächter - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17852006=
In seinen Recherchen stellt Dannenfelt fest, dass mehrere Übersetzer aus dem 11. und 12. Jahrhundert fälschlicherweise schrieben, "Mumia" sei eine Substanz, die von Mumien, den konservierten Körpern in ägyptischen Gräbern, stamme.
Infolgedessen war Mumia, also der Verzehr von Mumienstücken, im viktorianischen Zeitalter bald das Mittel der Wahl bei fast allen Beschwerden.
Sowohl das 'Smithsonian' als auch das 'National Geographic Magazine' weisen darauf hin, dass es damals zur Behandlung von Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und sogar Herzinfarkten verwendet wurde!
Infolgedessen waren Mumien bald so gefragt, dass es nicht mehr genug davon gab. Zwielichtige Geschäftsleute hatten jedoch keine Skrupel, Gräber zu plündern und falsche Mumien herzustellen, um sie an diejenigen zu verkaufen, die auf der Suche nach der kostbaren Mumienmedizin waren.
Die Vorstellung, dass Menschen im viktorianischen Zeitalter mumifizierte Ägypter verzehrten, ist ziemlich verrückt. Aber wenn man länger darüber nachdenkt, haben die Menschen den menschlichen Körper schon immer als mögliche Lösung für eine Vielzahl von Beschwerden gesehen.
So tranken die Römer beispielsweise das Blut von Gladiatoren, um ihre Kräfte zu steigern. Es gibt viele weitere Beispiele dafür, dass Menschen im Laufe der Geschichte ähnliche Dinge getan haben, und vielleicht sind wir heute gar nicht so anders - denken Sie an Haut- und Bluttransfusionen oder Organspenden!
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