Warum sind Wildschweine in Deutschland radioaktiver als andere Tiere?
Seit der Atomexplosion von Tschernobyl sind fast 40 Jahre vergangen. Doch während sich Fauna und Flora in Mitteleuropa langsam von der Katastrophe erholen, weisen die Wildschweine weiterhin eine hohe Radioaktivität in ihrem Fleisch auf.
Auf der anderen Seite des Rheins weist das Wildschwein ein radioaktives Isotop (Cäsium-137) in großen Mengen auf, während dieses bei anderen Tieren in der Region, wie Hirschen und Rehen, im Laufe der Zeit erheblich zurückgegangen ist. Wissenschaftler haben dieses Phänomen das "Wildschwein-Paradoxon“ genannt.
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Doch dieses Rätsel konnte nun gelöst werden! In einer am 30. August 2023 in der Fachzeitschrift 'American Chemical Society (ACS) Publications' veröffentlichten Studie stellte eine Gruppe deutscher Forscher fest, dass dieses Phänomen tatsächlich nicht nur mit der Explosion von Tschernobyl zusammenhängt.
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Laut den Autoren der Studie ist die Katastrophe von Tschernobyl nicht die einzige radioaktive Quelle, die Wildschweine über ihre Nahrung verseucht hat. Deutsche Wissenschaftler gehen davon aus, dass die in den 1960er Jahren durchgeführten Atomtests je nach Tierart für 10 bis 68 % der Kontamination verantwortlich waren.
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Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, arbeiteten die Forscher mit Jägern zusammen, die zwischen 2019 und 2021 in 11 bayerischen Landkreisen Wildschweinfleisch zusammentrugen.
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Anschließend analysierten die Wissenschaftler 48 Wildschweinfleischproben und ermittelten die Isotope mit einem Gammastrahlendetektor.
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In den Proben wurden zwei Arten von Isotopen gefunden: Cäsium-135 und Cäsium-137. Und raten Sie mal, mit was sie im Zusammenhang stehen?
Das erste, Cäsium-135, stammt aus dem radioaktiven Niederschlag von Atomwaffentests. Das zweite, Cäsium-137, steht im Zusammenhang mit Kernreaktoren.
Die Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass 88 % der Fleischproben einen Cäsiumgehalt aufwiesen, der über dem in Deutschland für den Lebensmittelverzehr gesetzlichen Grenzwert lag. Aber warum sind Wildschweine mehr als 60 Jahre nach den Atomtests und fast 40 Jahre nach Tschernobyl immer noch so radioaktiv?
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Es wird angenommen, dass diese starke Kontamination durch unterirdische Pilze verursacht wird, die Wildschweine fressen. Diese Pilzarten, wie zum Beispiel die Hirschtrüffel, seien in dieser Region besonders radioaktiv, wo Cäsium langsam in den Boden eindringe, mit einer Rate von etwa einem Millimeter pro Jahr, erklären die Autoren der Studie.
"Je nach Bodenzusammensetzung, insbesondere Tonmineralgehalt, stellen diese unterirdischen Pilze eine kritische Ablagerung von nach unten wanderndem Cäsium-137 dar“, so die Autoren der Studie.
Unterirdische Pilze befinden sich zwischen 20 und 40 cm unter der Erde. Es ist daher möglich, dass ihre Radioaktivität im Laufe der Zeit zunimmt, anstatt zu sinken, wie die deutsche Studie erklärt.
Wildschweine sind dafür bekannt, Hirschtrüffel (im Bild) auszugraben und zu fressen, besonders im Winter, wenn die Nahrung an der Oberfläche knapper ist. Dies würde laut den Forschern erklären, warum ihr Cäsiumgehalt im Winter höher ist.
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„Bei nuklearen Unfällen oder Explosionen freigesetzte Radionuklide stellen eine langfristige Bedrohung für die Gesundheit von Ökosystemen dar. Die Kontamination von Wildschweinen in Mitteleuropa, die für ihre anhaltend hohen Cäsium-137-Werte bekannt sind, ist ein markantes Beispiel“, geben die Autoren der Studie an. Und präzisieren: "Da es jedoch keine zuverlässige Identifizierung der Quelle gibt, ist der Ursprung dieses jahrzehntealten Problems ungewiss.“
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Diesen deutschen Forschern zufolge könnten neue Atomtests oder nukleare Unfälle die derzeitige Kontamination dieser Säugetiere weiter verstärken, was unmittelbare Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit hätte.
"Diese Studie zeigt, dass strategische Entscheidungen zur Durchführung atmosphärischer Atomtests vor 60 bis 80 Jahren auch heute noch Auswirkungen auf abgelegene natürliche Umgebungen, Wildtiere und eine menschliche Nahrungsquelle haben“, so das Fazit die Studie.